Wie ein hungriger Löwe bewege ich mich gekonnt im Straßenverkehr vorwärts, ohne jemals ein Blick nach links oder rechts werfen zu müssen. Ich hab die Regeln ja schon damals verstanden.
Am Vatertag reicht es schon aus dem Fenster zu blicken, um die direkten, ungeschoenten Resultate des gemeinschaftlichen wie auch individuellen Strebens nach einem allgemeinen Lebensvergessen zu entdecken.
Als Max Goldt vorne am Tisch vor den Zuhoerern Platz nahm, erinnerte er mich an eine etwas juengere Version von Meat Loaf. Jedoch war er deutlich aelter, als auf den Fotos die ich bislang von ihm gesehen hatte.
Natuerlich tut sein Aussehen hier nicht wirklich zur Sache. Aber es wundert einen schon - wie mir eine Freundin nach der Lesung sagte - dass er seit etlichen Jahren so schreibt wie er nun mal schreibt und das unveraendert.
Ganz zum Schluss sagte er dem Publikum, dass es wichtig sei die vielen ersten Male die man erlebt im Gedaechtnis zu behalten. Ich dachte sofort an Bandini und an seine Rubrik. Als ich dann gestern Nacht seine Seite aufrief, stellte ich fest, dass Bandini beschlossen hatte sein Projekt einzustellen.
In der einen oder anderen virtuellen Form wird er dennoch wieder das Schreiben aufnehmen. Das versprach er zumindest.
Zurueck zu Goldt.
In einem Kachelmann-Wetterkanal-Plauderton begann Goldt seine Texte vorzutragen. Nein, das ist keine ernstzunehmende Kritik meinerseits. Diese abgespulte, routinierte Erzaehlweise verfuegte ueber eine Reihe von unterschiedlichen Betonungen, die in der Regel das Banale in den Saetzen heraussuchte, hervorhob und leicht amuesiert aussprach. Damit klangen all die beschriebenen Situationen auf eine wunderbare Weise immer gleich unwichtig.
Ich erinnere mich an eine Erzaehlung in der eine der beschriebenen Personen sich wuenschte ihren 100-jaehrigen Geburtstag in der Kinderecke bei McDonalds auf einem der roten Plastikstuehle zu verbringen. Oder die Beschreibung eines "schimmelbehafteten" Duschvorhanges, "der sich saugend des Unterarmes bemaechtigte". Worterfindungen und Wortassoziationen die bei Barre bemueht vielsagend klingen, sind bei Goldt dagegen treffend und garantiert unterhaltsam.
Der Abend haette so stundenlang weitergehen koennen. Alltagsbeschreibungen mit einem hohen Wiedererkennungswert, trocken, knapp, witzig und sprachlich effektvoll formuliert sorgten fuer regelmaessige Lacher und - um es mit Goldt su sagen - "Lachschreie" beim Publikum.
Zufrieden und satt verliess das Publikum nach der Lesung das Zelt oder stellte sich brav in einer Schlange an, um ein Autogramm oder eine Antwort auf eine entsprechende Frage zu erhalten.
Ich hatte kein Buch zum Signieren mit, aber im Nachhinein haette ich Max Goldt gerne ein Buch von Kracht auf den Tisch gelegt, um zu beobachten was passieren wuerde.
Zum Kauf und Lesen seiner Buecher fuehle ich mich auch nach der Lesung nicht bewegt, aber gaebe es ein von ihm gelesenes Hoerbuch, so wuerde ich wohl nicht lange zoegern. Und vielleicht gibt es das mittlerweile ohnehin schon.
Die Weise in denen Max Goldts Erzaehler durchgehend von den jeweiligen Situationen distanziert ist - wie ein Zuschauer beim Zappen durch das Fernsehprogramm oder als gelangweilter, aber gleichzeitig interessierter Besucher einer eher tristen Zusammenkunft geselliger und redseliger Leute - mag geschickt gewaehlt sein, jedoch erzeugt es bei mir eine Art Dehnung oder Streckung der Langeweile. Da wird nicht so sehr erzaehlt, sondern viel mehr nacherzaehlt.
Wie ein Dokumentarfilmer bewegt sich Goldts Erzaehler von Situation zu Situation und hinterlaesste dabei eine satirische Spur. Und auch dies ist nicht als deutliche Kritik zu verstehen. Doch fuer mich persoenlich wird es erst an dem Punkt spannend, wenn die Nacherzaehlung zur Erzaehlung wird. Wenn der Erzaehler nicht nur wie ein einziges, riesiges Auge zusammentraegt und humoristisch zusammenfasst, sondern es wagt einige Schritte in dieses voyeristische Kammerspiel zu machen, das er bis dahin aus sicherer Entfernung betrachtete.